Kapitel 15 - Seerecht

Die sichere Navigation auf See erfordert nicht nur technische Fähigkeiten und nautisches Wissen, sondern auch ein fundiertes Verständnis der rechtlichen Rahmenbedingungen. Das moderne Seerecht, das sich über Jahrhunderte entwickelt hat, bildet heute ein komplexes Regelwerk aus internationalen Vereinbarungen und nationalen Vorschriften. Dieses Kapitel vermittelt die wichtigsten rechtlichen Grundlagen, die jeder Skipper kennen muss.

 

Grundzüge des internationalen Seerechts

Das internationale Seerecht wird massgeblich durch die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (International Maritime Organization, IMO) koordiniert. Es unterscheidet grundsätzlich zwischen zwei Bereichen:

  1. Den Hoheitsgewässern (Territorialgewässer), die sich bis zu zwölf Seemeilen vor der Küste erstrecken und in denen primär nationales Recht gilt.
  2. Der Hohen See jenseits dieser Grenze, wo das Recht des jeweiligen Flaggenstaates zur Anwendung kommt, sofern es mit dem internationalen Seerecht vereinbar ist.

 

Für Sport- und Vergnügungsschiffe sind dabei sechs Kernbereiche von besonderer Bedeutung:

  • Das Flaggenrecht, das die Staatszugehörigkeit eines Schiffes bestimmt
  • Die Führerscheinvorschriften für Skipper
  • Die internationalen Kollisionsverhütungsregeln (KVR)
  • Die Regelungen für Verkehrstrennungsgebiete (VTG)
  • Das Haftungsrecht bei Unfällen und Schäden
  • Die Bestimmungen zu Rettung und Bergung

 

Das Flaggenrecht der Schweiz

Obwohl die Schweiz ein Binnenland ist, verfügt sie über eine lange Tradition der Hochseeschifffahrt. Die rechtliche Grundlage dafür wurde 1953 mit dem Seeschifffahrtsgesetz (SSG) geschaffen. Ursprünglich nur für Handelsschiffe konzipiert, wurde das Gesetz 1965 auch für Sportschiffe geöffnet. Die "Verordnung über die schweizerischen Jachten zur See" (JVO) von 1971 regelt seither die Details für Freizeitschiffe.

Wer sein Boot unter Schweizer Flagge registrieren möchte, muss dies beim Schweizerischen Seeschifffahrtsamt (SSA) in Basel beantragen. Nach erfolgreicher Prüfung wird ein Flaggenschein ausgestellt - das zentrale Dokument, das zur Führung der Schweizer Flagge berechtigt und verpflichtet. Dieser Schein muss stets an Bord mitgeführt werden.

Für Yachten unter Schweizer Flagge gelten besondere Vorschriften und Einschränkungen:

  • Ein strikte Verbot der gewerblichen Nutzung: Schweizer Yachten dürfen nicht für kommerzielle Zwecke wie Charterfahrten eingesetzt werden. Dies unterscheidet sie von Schiffen vieler anderer Flaggenstaaten.
  • Die eindeutige Namensgebung: Jede Yacht muss einen einzigartigen Namen führen, der nicht bereits im Schweizer Register eingetragen ist.
  • Die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften: Die vom Seeschifffahrtsamt festgelegten Ausrüstungs- und Sicherheitsstandards müssen jederzeit erfüllt sein.

Ein Verstoss gegen diese Vorschriften - etwa das unberechtigte Führen der Schweizer Flagge oder der Betrieb als Charteryacht - kann strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

 

Die Kollisionsverhütungsregeln (KVR)

Eine der wichtigsten internationalen Vereinbarungen sind die Kollisionsverhütungsregeln von 1972, auch bekannt als "Convention on the International Regulations for Preventing Collisions at Sea" (COLREGs). Diese Regeln gelten weltweit - von der Hohen See bis in die kleinsten Häfen. Sie sind für alle Verkehrsteilnehmer verbindlich, unabhängig von der Grösse ihres Fahrzeugs.

Die wichtigsten Grundregeln, die jeder Skipper verinnerlichen muss, sind:

 

Regel 5 - Der Ausguck: Jedes Fahrzeug muss permanent einen sorgfältigen Ausguck durch Sehen und Hören halten. Diese scheinbar simple Regel ist von fundamentaler Bedeutung für die Sicherheit auf See. Sie verpflichtet dazu, die Umgebung ständig zu beobachten, um Gefahren frühzeitig zu erkennen.

 

Regel 6 - Sichere Geschwindigkeit: Die Geschwindigkeit muss stets den Umständen angepasst sein. Dabei sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen:

  • Die Sichtverhältnisse
  • Die Verkehrsdichte im Seegebiet
  • Die Manövrierfähigkeit des eigenen Schiffs
  • Der Seegang und die Wetterbedingungen
  • Die Wassertiefe

 

Regel 7 – Kollisionsgefahr: Diese Regel verpflichtet zur systematischen Beobachtung anderer Fahrzeuge. Dabei sind alle verfügbaren Mittel zu nutzen - vom einfachen Peilen bis hin zu elektronischen Hilfsmitteln wie Radar oder AIS. Eine Kollisionsgefahr besteht insbesondere dann, wenn sich die Peilung zu einem anderen Fahrzeug nicht merklich ändert.

 

Regel 8 – Ausweichmanöver: Wird ein Ausweichmanöver notwendig, muss es:

  • Frühzeitig eingeleitet werden
  • Deutlich erkennbar sein
  • Den seemännischen Regeln entsprechen

Kleine, zögerliche Kursänderungen sind zu vermeiden, da sie von anderen Schiffen möglicherweise nicht erkannt werden.

 

Verkehrstrennungsgebiete (VTG)

In stark befahrenen oder engen Seegebieten wurden von der IMO spezielle Verkehrswege eingerichtet - die Verkehrstrennungsgebiete. Sie funktionieren ähnlich wie Autobahnen, mit getrennten "Fahrspuren" für jede Richtung. Die Besonderheiten dieser Gebiete sind in Regel 10 der KVR geregelt.

Für Sportboote gelten dabei folgende Grundsätze:

  • Das Ein- und Auslaufen sollte möglichst an den Enden der Einbahnstrassen erfolgen
  • Beim seitlichen Einlaufen darf der Winkel zur Verkehrsrichtung maximal 10° betragen
  • Beim Queren eines VTG muss der kürzeste Weg gewählt werden - idealerweise im rechten Winkel zur Verkehrsrichtung
  • Fahrzeuge unter 20 Meter Länge und Segelschiffe müssen der Berufsschifffahrt stets ausweichen

Die Einhaltung dieser Regeln wird in vielen Gebieten elektronisch überwacht. Verstösse können zu empfindlichen Bussgeldern führen.

Rettung und Bergung auf See

Eine der ältesten und fundamentalsten Pflichten auf See ist die Hilfeleistung für Menschen in Not. Das internationale Seerecht betrachtet dies als unverhandelbare Verpflichtung. Jeder Skipper muss bei erkennbarer Notlage Hilfe leisten, sofern dies ohne erhebliche Eigengefährdung möglich ist.

Dabei ist die wichtige Unterscheidung zwischen Rettung und Bergung zu beachten:

 

  • Die Rettung bezieht sich auf Menschen und ist grundsätzlich unentgeltlich durchzuführen
  • Die Bergung betrifft Sachwerte wie Schiffe oder Ladung und kann vergütet werden

 

Bei Bergungsaktionen können durchaus erhebliche finanzielle Ansprüche entstehen. Die Höhe eines Bergungslohns wird dabei nach verschiedenen Kriterien bemessen:

  • Der Wert des geborgenen Objekts
  • Die aufgewendete Zeit und die eingesetzten Mittel
  • Das eingegangene Risiko
  • Der Erfolg der Bergung

Im Streitfall entscheiden spezialisierte Gerichte über die Höhe der Vergütung.

 

Haftung und Versicherung

Der Betrieb eines Schiffes birgt vielfältige Risiken - von der Kollision mit anderen Fahrzeugen bis hin zu Personenschäden an Bord. Das Seehaftungsrecht regelt die Verantwortlichkeiten in solchen Fällen.

Grundsätzlich haftet der Reeder (Schiffseigner) nach den Bestimmungen des Schweizer Seeschifffahrtsgesetzes und des Obligationenrechts. Der Schiffsführer kann jedoch persönlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn ihm ein Fehlverhalten nachgewiesen wird.

Für jeden Skipper sind daher zwei Versicherungen essenziell:

 

  1. Die Haftpflichtversicherung deckt Schäden ab, die anderen zugefügt werden
  2. Die Kaskoversicherung schützt das eigene Schiff vor materiellen Schäden

 

Als wichtigstes Beweismittel im Schadenfall dient das Logbuch. Darin sollten alle relevanten Ereignisse sorgfältig dokumentiert werden:

  • Position und Kurs
  • Wetter- und Seebedingungen
  • Besondere Vorkommnisse
  • Schäden und deren Ursachen
  • Unfälle und ergriffene Massnahmen

 

 

Das Seerecht bildet einen wichtigen Rahmen für die sichere Navigation. Seine Kenntnis ist für angehende Skipper ebenso wichtig wie das praktische Können. Die Prüfung zum schweizerischen Hochseeausweis verlangt daher zu Recht fundierte Kenntnisse in beiden Bereichen. Eine intensive Auseinandersetzung mit den rechtlichen Aspekten der Seefahrt zahlt sich aus - sie bildet die Basis für sichere und verantwortungsvolle Törns.

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Kontakt

SRA

Boris Ehret

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TEL: +41 79 293 86 75