Kapitel 16 - Wetterkunde und Meteoroplogie

Die Erdatmosphäre ist ein hochkomplexes System, dessen momentaner Zustand das Wetter bestimmt. Für die Navigation ist dabei besonders die unterste Schicht der Atmosphäre – die Troposphäre – von Bedeutung, da sich hier die wesentlichen Wetterprozesse abspielen, die unmittelbaren Einfluss auf die Schifffahrt haben.

 

 

Grundlegende physikalische Parameter

 

 

1 Temperatur

Um diese Prozesse zu verstehen, müssen wir zunächst die grundlegenden physikalischen Parameter betrachten. Die Lufttemperatur, gemessen in Grad Celsius, beschreibt die thermische Energie der Luftmoleküle und ist eine der Hauptursachen für Luftbewegungen. Erwärmte Luft dehnt sich aus und steigt nach oben, während sich kalte Luft zusammenzieht und absinkt. Dieser fundamentale physikalische Zusammenhang liegt vielen Wetterphänomenen zugrunde.

 

2 Luftdruck

Der Luftdruck, ein weiterer zentraler Parameter, wird in Hektopascal (hPa) gemessen und entspricht dem Gewicht der darüberliegenden Luftsäule. Auf Meereshöhe beträgt der durchschnittliche Luftdruck 1013,25 hPa. Abweichungen von diesem Wert kennzeichnen die für die Navigation so wichtigen Hoch- und Tiefdruckgebiete. Mit zunehmender Höhe nimmt der Luftdruck kontinuierlich ab, in Bodennähe etwa um einen Hektopascal pro acht Höhenmeter.

 

3 Luftfeuchtigkeit

Die Luftfeuchtigkeit spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle für das Wettergeschehen. Die Fähigkeit der Luft, Wasserdampf aufzunehmen, hängt direkt von ihrer Temperatur ab – je wärmer die Luft, desto mehr Wasserdampf kann sie speichern. Dabei unterscheiden wir zwischen der absoluten Feuchte, die den tatsächlichen Wasserdampfgehalt in Gramm pro Kubikmeter Luft angibt, und der relativen Feuchte, die den prozentualen Anteil vom maximal möglichen


Wasserdampfgehalt bei der jeweiligen Temperatur beschreibt. Der Taupunkt bezeichnet jene Temperatur, bei der die relative Feuchte 100% erreicht und Kondensation einsetzt – ein wichtiger Wert für die Vorhersage von Nebelbildung.

 

Globale atmosphärische Zirkulation

Die globale atmosphärische Zirkulation ist ein komplexes System von Luftbewegungen, das durch drei Hauptfaktoren angetrieben wird: die ungleiche Verteilung der Sonneneinstrahlung zwischen dem Äquator und den Polen, die Drehung der Erde, die die sogenannte Corioliskraft erzeugt, sowie die Verteilung von Land- und Wassermassen auf der Erdoberfläche. Diese Faktoren wirken zusammen und erzeugen charakteristische Muster, die das Wetter und Klima weltweit beeinflussen.

In der Nähe des Äquators wird die Erdoberfläche von der Sonne besonders stark erhitzt. Diese intensive Erwärmung führt dazu, dass die Luft aufsteigt, da warme Luft leichter ist als kalte. In der Höhe strömt die Luft dann polwärts, also in Richtung der Pole. Dieses Zirkulationsmuster wird als Hadley-Zelle bezeichnet. Auf ihrem Weg kühlt die Luft langsam ab. Ungefähr bei 30° nördlicher und südlicher Breite sinkt die abgekühlte Luft wieder ab, wodurch Hochdruckgebiete entstehen, die als subtropische Hochdruckgürteln bekannt sind. Diese Bereiche sind oft von trockenen Klimazonen wie Wüsten geprägt.

Zwischen 30° und 60° Breite schliesst sich eine weitere Zirkulationszone an, die als Ferrel-Zelle bezeichnet wird. Hier bewegt sich die Luft bodennah von den Hochdruckgebieten in Richtung der Tiefdruckgebiete bei etwa 60° Breite. In diesem Bereich treffen warme Luftmassen aus den Tropen auf kalte Luftmassen aus den Polarregionen. Dies führt zu turbulenten Wetterphänomenen wie Stürmen und starken Tiefdruckgebieten, die insbesondere in Europa das Wetter bestimmen.

 

In den hohen Breiten, ab etwa 60° bis zu den Polen, befindet sich die Polar-Zelle. Hier sinkt kalte Luft über den Polen ab und strömt dann bodennah in Richtung Äquator, wo sie auf die warme Luft der Ferrel-Zelle trifft. Diese Begegnung von warmen und kalten Luftmassen führt zu der sogenannten Polarfront, einer wichtigen Zone für die Entstehung von Tiefdruckgebieten.


Die für die Navigation besonders relevanten Hoch- und Tiefdruckgebiete entstehen im Zusammenspiel dieser grossräumigen Zirkulationsmuster. In Hochdruckgebieten, auch Antizyklonen genannt, sinkt die Luft grossflächig ab. Durch die Erwärmung beim Absinken lösen sich Wolken auf, weshalb im Zentrum eines Hochs meist wolkenloser Himmel vorherrscht. Die Winde sind typischerweise schwach, da der Druckgradient zum Rand des Hochdruckgebiets hin gering ist. Der Druckgradient beschreibt den Unterschied im Luftdruck zwischen zwei Orten. Ist der Druckunterschied gering, sind auch die Winde schwach; bei einem hohen Druckunterschied entstehen hingegen stärkere Winde. Im Sommer bringt ein Hochdruckgebiet oft stabiles, schönes Wetter. Im Winter hingegen kann die Kombination aus absinkender Luft und Abkühlung am Boden zur Bildung von hartnäckigem Nebel oder Hochnebel führen.

Tiefdruckgebiete oder Zyklonen zeichnen sich durch aufsteigende Luftmassen aus. Beim Aufsteigen kühlt sich die Luft ab, was zur Kondensation des enthaltenen Wasserdampfs und damit zur Wolkenbildung führt. Die oft starken Winde in Tiefdruckgebieten entstehen durch den ausgeprägten Druckgradienten zwischen dem Tiefdruckzentrum und seiner Umgebung. Tiefdruckgebiete sind charakteristisch für das wechselhafte Wetter unserer Breiten.

Zusammen bilden die Hadley-Zelle, die Ferrel-Zelle und die Polar-Zelle ein globales System von Luftzirkulationen, das entscheidend dafür ist, wie Energie und Feuchtigkeit auf der Erde verteilt werden. Diese Prozesse beeinflussen sowohl das Klima in grossem Massstab als auch das tägliche Wetter, das wir erleben.

 

Fronten

 

1 Warmfront

 

An der Grenze zwischen unterschiedlich temperierten Luftmassen bilden sich Fronten, die für die Wetterentwicklung von besonderer Bedeutung sind. Bei einer Warmfront schiebt sich warme Luft über die vor ihr liegende kältere Luftmasse. Da dieser Prozess relativ langsam verläuft, vollzieht sich der Wetterumschlag allmählich. Eine charakteristische Wolkenabfolge kündigt die herannahende Warmfront an: Zunächst erscheinen hohe Cirruswolken am Himmel, gefolgt von Cirrostratus und Altostratus. Schliesslich entwickelt sich eine geschlossene Nimbostratus-Bewölkung, aus der anhaltender, gleichmässiger Niederschlag fällt. Die Temperatur steigt während der Frontpassage langsam an.

2 Kaltfront

 

Kaltfronten hingegen sind durch einen schnelleren Wetterumschlag gekennzeichnet. Hier schiebt sich kalte Luft wie ein Keil unter die warme Luftmasse. Die warme Luft wird dadurch rasch und mit grosser Intensität zum Aufsteigen gezwungen, was zu kräftigen Schauern und häufig auch zu Gewittern führt. Mit der Passage einer Kaltfront geht meist eine markante Winddrehung und ein deutlicher Temperatursturz einher.

Typische Wetterphänomene und Gefahren auf See

1 Gewitter

Besonders gefährlich für die Schifffahrt sind die mit Gewittern verbundenen Wettererscheinungen. Gewitter entwickeln sich bevorzugt in feuchtwarmen, labilen Luftmassen. Dabei unterscheiden wir zwischen Wärmegewittern, die durch starke Erwärmung am Boden entstehen und typisch für Sommernachmittage sind, und Frontgewittern, die sich an Kaltfronten bilden und oft in Linien angeordnet sind.

Eine besondere Gefahr bei Gewittern stellen Böenwalzen und Downbursts dar. Diese plötzlichen Fallwinde entstehen, wenn sich die in der Gewitterwolke abgekühlte Luft regelrecht auf die Wasseroberfläche stürzt. Die dabei auftretenden Windgeschwindigkeiten können 100 Knoten übersteigen. Die extrem kurzfristige Entwicklung dieser Phänomene macht sie für Seeleute besonders gefährlich, da sie kaum vorhersagbar sind und oft mit abrupten Windrichtungsänderungen einhergehen.

 

2 Nebel

Ein weiteres bedeutendes Wetterphänomen für die Navigation ist Nebel. Der durch nächtliche Abkühlung entstehende Strahlungsnebel ist besonders an Herbstmorgen anzutreffen und löst sich meist im Tagesverlauf wieder auf. Weitaus problematischer für die Schifffahrt ist der Advektionsnebel oder Seenebel. Er bildet sich, wenn warme Luft über kaltes Wasser strömt. Diese Art von Nebel kann sehr plötzlich auftreten und sich über Tage hinweg halten. Im Frühjahr, wenn die Lufttemperaturen bereits steigen, während das Meerwasser noch winterlich kalt ist, tritt dieses Phänomen besonders häufig auf.

 

3 Stürme und Wellen

Die Entwicklung von Stürmen wird massgeblich durch Druckgradienten bestimmt. Je enger die Isobaren auf der Wetterkarte beieinander liegen, desto stärker ist der Wind. Besonders ausgeprägte Gradienten finden sich in der Nähe von Tiefdruckkernen. Topographische Effekte wie Düseneffekte zwischen Inseln oder an Kaps können die Windstärke zusätzlich erhöhen. Die entstehende Wellenhöhe hängt dabei nicht nur von der Windstärke ab, sondern auch von der Dauer der Windeinwirkung, der Windwirklänge (Fetch) und der Wassertiefe.

 

Moderne Wettervorhersage und -modelle

Die moderne Wettervorhersage stützt sich auf verschiedene globale Wettermodelle. Das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (ECMWF) gilt dabei als präzisestes globales Modell mit Vorhersagen bis zu zehn Tage im Voraus. Seine Daten bilden die Basis vieler kommerzieller Wetterprodukte. Das amerikanische Global Forecast System (GFS) ist frei verfügbar und wird alle sechs Stunden aktualisiert. Moderne Wetter-Apps bieten Zugriff auf detaillierte Windvorhersagen, Wellenhöhen und -richtungen, Niederschlagsradare, Gewitterwarnungen und Strömungsdaten.

 

Professionelle Wetterrouting-Software

Professionelle Wetterrouting-Software berücksichtigt neben den Wettervorhersagen auch die spezifischen Schiffseigenschaften, Strömungsverhältnisse, Hafenzeiten und notwendige Sicherheitsabstände zur Küste. Diese technischen Hilfsmittel sind wertvoll, ersetzen aber nicht die aufmerksame Wetterbeobachtung.

 

Methoden der Wetteranalyse und -vorhersage

 

1 Wolkenbeobachtung als Indikator

Die Beobachtung der Wolken liefert wichtige Hinweise auf die zu erwartende Wetterentwicklung. In den hohen Luftschichten über 6000 Metern zeigen Cirruswolken oft das Herannahen einer Warmfront an. Entwickelt sich daraus ein durchscheinender Cirrostratus-Schleier, ist meist innerhalb von 24 Stunden mit einem Wetterumschwung zu rechnen. Die zarten Cirrocumulus-Wolken hingegen deuten eher auf stabiles Wetter hin. In den mittleren Höhen zwischen 2000 und 6000 

 

 

 

 

Metern können Altocumulus-Wolken eine zunehmende Labilisierung der Atmosphäre anzeigen, während Altostratus typischerweise mit einer herannahenden Warmfront einhergeht. In den unteren Luftschichten unter 2000 Metern sind Stratocumulus-Wolken häufig bei stabilem Hochdruckwetter anzutreffen. Nimbostratus bringt anhaltenden Niederschlag, während die mächtige Entwicklung eines Cumulonimbus stets ein Warnsignal für ein herannahendes Gewitter darstellt.

 

 

 

 

 

 

2. Analyse von Wetterkarten

Die Analyse von Wetterkarten erfordert besondere Aufmerksamkeit für die Isobaren, also die Linien gleichen Luftdrucks. Ihr Verlauf gibt unter Berücksichtigung der Corioliskraft Hinweise auf die zu erwartende Windrichtung. Die verschiedenen Fronten sind farblich gekennzeichnet: rote Linien mit halbrunden Ausbuchtungen für Warmfronten, blaue Linien mit Dreiecken für Kaltfronten und violette Linien mit gemischten Symbolen für Okklusionen. Die Position der Symbole zeigt dabei die Bewegungsrichtung der Fronten an.

 

 


3. Wetterbeobachtung an Bord

Auf See sind regelmässige Luftdruckmessungen mit dem Barometer unerlässlich. Dabei kommt es weniger auf die absoluten Werte an als vielmehr auf die Tendenz der Luftdruckentwicklung. Ein schneller Druckfall deutet auf eine mögliche Sturmentwicklung hin, während ein langsamer, stetiger Druckanstieg meist auf eine Wetterbesserung hinweist.

Routenplanung und Reaktion auf Wetteränderungen

Die praktische Anwendung all dieser Kenntnisse beginnt bereits bei der Routenplanung. Vor Fahrtbeginn muss die grossräumige Wetterlage analysiert und der Vergleich verschiedener Wettermodelle vorgenommen werden. Alternative Routen und Ausweichhäfen sind zu planen, wobei auch die Gezeitenströmungen zu berücksichtigen sind. Während der Fahrt sind regelmässige Wetterberichte abzuhören und die eigenen Beobachtungen zu dokumentieren. Nur so kann frühzeitig auf Wetteränderungen reagiert werden.

Bei drohendem Schlechtwetter ist rechtzeitig Schutz zu suchen. Crew und Schiff müssen auf schweres Wetter vorbereitet, die Ausrüstung und das Sicherheitsmaterial überprüft werden.

 

Schlussfolgerung

 

Die sichere Navigation erfordert somit ein umfassendes Verständnis meteorologischer Prozesse. Die modernen technischen Hilfsmittel erleichtern zwar die Wettervorhersage erheblich, können aber die seemännische Erfahrung und aufmerksame Wetterbeobachtung nicht ersetzen. Nur die Kombination aus fundiertem theoretischen Wissen, technischer Unterstützung und praktischer Erfahrung ermöglicht eine zuverlässige Wetterbeurteilung als Grundlage für sichere Navigationsentscheidungen. Die kontinuierliche Weiterbildung in der Wetterkunde und der regelmässige Erfahrungsaustausch mit anderen Seeleuten sind dabei wesentliche Voraussetzungen für die sichere Führung eines Schiffes unter allen Wetterbedingungen.

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SRA

Boris Ehret

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