Kapitel 17 - Medizinische Notfälle an Bord

Gerade auf hoher See, fernab von der Zivilisation, kann ein medizinischer Notfall schnell zu einer ernsten Bedrohung werden. Denken sie sich an die Geschichte der jungen Seglerin, die sich während eines Sturms im Pazifik den Arm brach: Hunderte Seemeilen vom nächsten Hafen entfernt, war sie auf die Hilfe ihrer unerfahrenen Crew angewiesen.  Dieser Vorfall verdeutlicht die Bedeutung von Vorbereitung, Wissen und der richtigen Ausrüstung, um medizinischen Notfällen auf See effektiv begegnen zu können. Dieses Kapitel beleuchtet die häufigsten medizinischen Probleme an Bord, gibt Tipps zur Prävention und erklärt, was im Ernstfall zu tun ist.

 

Häufige medizinische Notfälle auf See

Auf See sind Segler besonderen Herausforderungen ausgesetzt, die zu einer Vielzahl von medizinischen Notfällen führen können.  Während einige dieser Beschwerden an Land leicht zu behandeln wären, können sie auf See aufgrund der verzögerten medizinischen Versorgung schnell gefährlich werden. Zu den häufigsten medizinischen Notfällen gehören:  

 

  • Seekrankheit: Übelkeit und Erbrechen durch Seekrankheit sind häufige Beschwerden, besonders bei Wellengang. Die Symptome können von leichter Übelkeit bis hin zu schwerer Dehydration und Erschöpfung reichen.
  • Verletzungen: Schnitte und Brüche können durch die Arbeit an Deck, beim Hantieren mit Segeln oder durch Stürze verursacht werden. Offene Wunden sind auf See besonders problematisch, da das Salzwasser die Heilung erschwert und das Risiko von Infektionen erhöht.
  • Verbrennungen: Verbrennungen treten häufig beim Arbeiten in der Kombüse auf, zum Beispiel durch heisse Flächen oder kochendes Wasser. Diese Verletzungen erfordern besondere Vorsicht und schnelle Versorgung, um Komplikationen zu vermeiden.
  • Sonnenbrand und Sonnenstich: Segler sind oft intensiver Sonneneinstrahlung ausgesetzt, was zu Sonnenbränden und im schlimmsten Fall zu einem Sonnenstich führen kann. Ein Sonnenstich ist ein lebensbedrohlicher Zustand, der sofortige medizinische Hilfe erfordert.
  • Infektionen und Entzündungen: Infekte der Haut, der Atemwege oder des Magen-Darm-Trakts können auftreten. Enge Lebensräume und eingeschränkte Hygienemöglichkeiten an Bord können die Ausbreitung von Infektionen begünstigen.
  • Magen-Darm-Probleme: Verstopfung, Durchfall und Erbrechen können durch die veränderte Ernährung, Bewegungsmangel oder auch durch Lebensmittelvergiftungen auftreten. Dehydration ist eine häufige Folge von Magen-Darm-Problemen und kann auf See schnell gefährlich werden.
  • Chronische Erkrankungen: Vorbestehende Erkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Probleme oder Asthma können sich an Bord verschlimmern. Stress, unregelmässige Ernährung und Schlaf sowie die körperliche Anstrengung beim Segeln können die Symptome verstärken.
  • Hypothermie: Kälte und Nässe sind ständige Begleiter auf See. Fällt eine Person über Bord oder ist sie längere Zeit kaltem Wasser ausgesetzt, besteht die Gefahr einer Hypothermie. Hypothermie ist eine lebensbedrohliche Unterkühlung des Körpers, die zu Bewusstseinsverlust und schliesslich zum Tod führen kann.

Es ist wichtig zu verstehen, dass selbst scheinbar harmlose Beschwerden auf See problematisch werden können, wenn professionelle Hilfe nicht rechtzeitig verfügbar ist.  Eine sorgfältige Vorbereitung und das Wissen über Erste-Hilfe-Massnahmen sind daher unerlässlich.  

 

Prävention: Vermeidung von medizinischen Notfällen

Viele medizinische Notfälle lassen sich durch vorausschauendes Handeln und entsprechende Vorsichtsmassnahmen vermeiden. Hier einige wichtige Tipps:

 

·       Sicherheitsvorkehrungen: Tragen Sie beim Segeln immer geeignete Kleidung, Schuhe und gegebenenfalls Handschuhe. Achten Sie auf rutschfeste Decks und sichern sie sich bei Bedarf mit einer Lifeline. Seien Sie besonders vorsichtig beim Bewegen an Deck, insbesondere bei starkem Seegang.  

·       Sonnenschutz: Verwenden Sie ausreichend Sonnenschutzmittel mit hohem Lichtschutzfaktor, tragen Sie eine Kopfbedeckung und schützende Kleidung. Vermeiden Sie längere Aufenthalte in der prallen Sonne, insbesondere während der Mittagszeit.  

·       Hygiene: Achten Sie auf Hygiene an Bord, insbesondere bei der Zubereitung von Speisen und der Trinkwasserversorgung. Waschen Sie sich regelmässig die Hände. Reinigen Sie regelmässig die Oberflächen in der Kombüse und im Sanitärbereich.  

·     Seekrankheit vorbeugen: Es gibt verschiedene Massnahmen, um Seekrankheit vorzubeugen, z.B. Medikamente, Akupressur oder bestimmte Verhaltensweisen. Suchen Sie sich einen Platz in der Mitte des Schiffes, wo die Bewegungen am geringsten sind. Fixieren Sie den Blick auf den Horizont und vermeiden Sie es, zu lesen oder auf Ihr Smartphone zu schauen.  

·       Gesundheitscheck: Lassen Sie sich vor längeren Törns ärztlich untersuchen, insbesondere wenn Sie chronische Erkrankungen haben. Besprechen Sie mit Ihrem Arzt die Reisepläne und eventuelle Risiken.  

·     Medikamente: Nehmen Sie ausreichend Medikamente für Ihre Reise mit, sowohl für bekannte Beschwerden als auch für allgemeine Notfälle. Bewahren Sie die Medikamente sicher und trocken auf.  

·  Notfallausrüstung: Stellen Sie sicher, dass Ihre Sicherheitsausrüstung an Bord vollständig und funktionstüchtig ist, einschliesslich Rettungswesten, Seenotsignalmittel, Feuerlöscher und Erste-Hilfe-Kasten. Machen Sie sich mit der Bedienung der Geräte vertraut.  

·       Klare Aufgabenverteilung: Besprechen Sie mit Ihrer Crew die Sicherheitsvorkehrungen und die Aufgabenverteilung im Notfall. Jeder sollte wissen, welche Aufgaben er im Ernstfall zu übernehmen hat.  

·       Medizinische Vorgeschichte der Crew: Bevor Sie in See stechen, sollten Sie sich über die medizinische Vorgeschichte jedes Crewmitglieds informieren. Fragen Sie nach Allergien, Medikamenten, Vorerkrankungen und relevanten Informationen, die im Notfall wichtig sein könnten. Ein Fragebogen oder ein persönliches Gespräch können dabei helfen, alle wichtigen Informationen zu sammeln.

 

Was tun im Notfall?

Trotz aller Vorsichtsmassnahmen kann es zu medizinischen Notfällen kommen. Ruhe bewahren und überlegt handeln ist dann entscheidend.

 

·       Situation einschätzen: Verschaffen Sie sich einen Überblick über die Situation und die Art des Notfalls. Ist die Person bei Bewusstsein? Atmet sie? Gibt es sichtbare Verletzungen?

·       Schiff in Sicherheit bringen: Stellen Sie sicher, dass sich das Schiff in einer sicheren Position befindet, bevor Sie mit der Ersten Hilfe beginnen. Reduzieren Sie die Segel oder aktivieren Sie den Autopiloten, um das Schiff zu stabilisieren.  

·       Erste Hilfe: Leisten sie Erste Hilfe nach bestem Wissen und Gewissen. Versorgen Sie Wunden, stabilisieren Sie Verletzungen und lagern Sie die Person gegebenenfalls in die stabile Seitenlage.  

·   Schiffsapotheke: Versorgen Sie den Patienten mit Medikamenten aus der Schiffsapotheke, falls erforderlich und unter Berücksichtigung der funkärztlichen Anweisungen.  

·       Funkärztliche Beratung: Nutzen Sie die Möglichkeit der funkärztlichen Beratung, um weitere Anweisungen zu erhalten. Schildern Sie dem Arzt die Situation und die Symptome des Patienten so genau wie möglich.  

·       Notruf absetzen: Setzen Sie einen Notruf über UKW-Funk (Kanal 16) oder falls möglich per Mobiltelefon ab. Geben Sie dabei Ihre Position, die Art des Notfalls und die Anzahl der Personen an Bord durch. Verwenden Sie gegebenenfalls pyrotechnische Signale, um auf Ihre Notlage aufmerksam zu machen. Rote Handfackeln dienen zur Positionsangabe, während Raketen und Blitz-Knall-Signale die Aufmerksamkeit anderer Schiffe auf sich ziehen sollen.  

·       Evakuierung: In manchen Fällen kann eine Evakuierung des Patienten per Hubschrauber ("luftgebundene Evakuierung") notwendig sein. Folgen Sie den Anweisungen der Rettungskräfte und bereiten Sie das Schiff für die Evakuierung vor.  

·     Dokumentation: Dokumentieren Sie alle Massnahmen, die Sie ergreifen, sowie den Zustand des Patienten. Notieren Sie die Uhrzeit, die Art der Verletzung oder Erkrankung, die durchgeführten Massnahmen und die verabreichten Medikamente.

 

Medizinische Ausrüstung an Bord

Eine gut ausgestattete Bordapotheke ist für die medizinische Versorgung auf See unerlässlich. Die genaue Zusammensetzung hängt von der Reisedauer, dem Revier und den individuellen Bedürfnissen der Crew ab.  Familien mit Kindern benötigen beispielsweise andere Medikamente und Materialien als eine Crew erfahrener Erwachsener.  Neben den üblichen Medikamenten und Verbandsmaterialien sollten auch spezielle Mittel gegen Seekrankheit, Sonnenschutzmittel und Desinfektionsmittel vorhanden sein.  

 

Grundausstattung:

·       Verbandsmaterial: Pflaster, sterile Kompressen, elastische Binden, Wunddesinfektionsmittel

·  Medikamente: Schmerzmittel, Fiebermittel, Mittel gegen Übelkeit und Erbrechen, Durchfallmittel, Antihistaminika, Salben gegen Verbrennungen und Insektenstiche

·       Instrumente: Fieberthermometer, Pinzette, Schere, Sicherheitsnadeln

·       Sonstiges: Sonnencreme, Insektenschutzmittel, Handschuhe, Mundschutz

 

Informieren Sie sich vor der Reise über die empfohlene Ausstattung einer Bordapotheke und konsultieren Sie gegebenenfalls Ihren Arzt oder Apotheker.  Machen sie sich mit den Medikamenten und ihrer Anwendung vertraut.  Ein medizinisches Handbuch, wie Medizin auf See,(1) kann Ihnen wertvolle Hinweise und Anleitungen für die medizinische Versorgung an Bord geben.  

 

Erste-Hilfe-Kurse für Segler

Ein Erste-Hilfe-Kurs ist für alle Segler empfehlenswert, insbesondere für Skipper und verantwortliche Crewmitglieder. In speziellen Kursen für Segler lernen Sie die wichtigsten Massnahmen bei Notfällen auf See, wie z.B. die Versorgung von Verletzungen, die Behandlung von Seekrankheit oder die Durchführung einer Herz-Lungen-Wiederbelebung.  Sie lernen ausserdem, wie Sie die medizinische Ausrüstung an Bord richtig einsetzen und die wichtigsten Medikamente verabreichen.  

 

Fazit

Segeln ist ein faszinierendes Erlebnis, aber auch mit gewissen Risiken verbunden.  Medizinische Notfälle können jederzeit auftreten, und auf See ist die Hilfe oft weit entfernt.  Mit einer guten Vorbereitung, dem richtigen Wissen und einer angemessenen medizinischen Ausrüstung können sie die Risiken minimieren und im Ernstfall richtig reagieren.  Ein Erste-Hilfe-Kurs ist für alle Segler empfehlenswert, um im Notfall Leben retten zu können.  Denken sie daran: Auf See sind sie Ihr eigener Ersthelfer!  Priorisieren Sie die Sicherheit und Gesundheit Ihrer Crew, um unbeschwerte Stunden auf dem Wasser geniessen zu können.

 



(1) Kohlfahl, Meinhard und Jens (2021): Medizin auf See, Erste Hilfe Diagnose Behandlung, 4. überarbeitete und erweiterte Auflage. Bielefeld: Delius Klasing Verlag.

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